„Ist-Versteuerer“ müssen ihre Umsätze nach § 20 Umsatzsteuergesetz (UStG) erst
versteuern, wenn sie die Zahlungen erhalten haben. Leistungsempfänger können die
Vorsteuer dagegen unabhängig von der Besteuerung des Leistenden mit der
Leistungsausführung abziehen. So sieht es das deutsche Umsatzsteuerrecht vor. Der
Europäische Gerichtshof hat aber nun eine andere Meinung vertreten.

Hintergrund: Bei der Soll-Besteuerung ist die Umsatzsteuer grundsätzlich mit der
Leistungsausführung abzuführen, was die Liquidität belasten kann. Unter
Voraussetzungen (z. B. Umsatz im vorangegangenen Jahr nicht mehr als 600.000 EUR) kann
eine Besteuerung per Antrag auch erst im Vereinnahmungszeitpunkt erfolgen (Ist-
Besteuerung).

Nach Ansicht der Finanzverwaltung entsteht das Vorsteuerabzugsrecht unabhängig von
der Besteuerung des Leistenden im Zeitpunkt des Leistungsbezugs. Wesentliche
Bedingungen sind die Leistungsausführung und der Empfang der Rechnung.

Der Europäische Gerichtshof hat jetzt aber Folgendes herausgestellt: „Art. 167 der
Mehrwertsteuerrichtlinie ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung
entgegensteht, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt der
Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder
Dienstleistungserbringer nach einer nationalen Abweichung gemäß Art. 66 Abs. 1 Buchst. b
der Mehrwertsteuerrichtlinie erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und dieses
noch nicht gezahlt worden ist.“

Praxistipp: Das Urteil ist für alle Unternehmen bedeutend. Denn Leistungsempfänger
können in der Regel gar nicht erkennen, wie der leistende Unternehmer seine Umsatzsteuer
berechnet. Man darf also gespannt sein, wie der Gesetzgeber bzw. die Finanzverwaltung
reagieren werden. Bis dahin dürfte aber Bestandsschutz bestehen.
Quelle: EuGH-Urteil vom 10.2.2022, Rs. C-9/20 „Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136“, unter www.iww.de,
Abruf-Nr. 227487