Der Bundesfinanzhof hat dem Europäischen Gerichtshof vor einiger Zeit u. a. die Frage
vorgelegt, wer bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft die Umsatzsteuer schuldet. Ist es –
wie es das deutsche Umsatzsteuergesetz (UStG) vorsieht – der Organträger oder vielmehr
der Organkreis (also die Mehrwertsteuergruppe)? Inzwischen liegen die Schlussanträge der
Generalanwältin vor. Sollte der Europäische Gerichtshof der darin ausgeführten Sichtweise
folgen, könnte dies immense Auswirkungen für den deutschen Fiskus haben.

Hintergrund
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbstständig
ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse
finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers
eingegliedert ist (Organschaft). Die Wirkungen der Organschaft sind auf Innenleistungen
zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Diese Unternehmensteile
sind als ein Unternehmen zu behandeln.

Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft führt also zu einer Zusammenfassung mehrerer
Unternehmen zu einem Steuerpflichtigen. Demzufolge werden Leistungsbeziehungen
zwischen diesen Unternehmen nicht mehr besteuert.

Der Organträger ist Steuerschuldner auch für die Umsätze, die andere eingegliederte
Organgesellschaften gegenüber Dritten ausführen.

Schlussanträge
Die Generalanwältin Laila Medina hält die deutsche Regelung im Grundsatz für nicht
EU-rechtskonform. Ihrer Ansicht nach ist die EU-Regelung dahin auszulegen, dass sie der
Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die nur das die Gruppe beherrschende Mitglied
(Organträger) unter Ausschluss der übrigen Mitglieder der Gruppe als Vertreter der
Mehrwertsteuergruppe und als Steuerpflichtigen dieser Gruppe bestimmt.

Beachten Sie: Im Gegensatz zum deutschen Recht hält die Generalanwältin auch
steuerpflichtige Umsätze zwischen den Gruppenmitgliedern für möglich. Dies hat der
Europäische Gerichtshof aber bisher anders gesehen.

Handlungsempfehlungen
Wie bereits erwähnt, handelt es sich vorerst „nur“ um Schlussanträge. Abzuwarten bleiben
also die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und die Folgeentscheidungen des
Bundesfinanzhofs.

Sofern hier der Sichtweise der Generalanwältin gefolgt wird, ist nicht mehr der Organträger
Steuerschuldner für die Umsätze der Organschaft. Insofern dürften die gegen den
Organträger erlassenen Umsatzsteuer-Bescheide rechtswidrig sein. Daher steht im Raum,
dass die an das Finanzamt abgeführte Umsatzsteuer zurückverlangt werden kann, wenn dies
verfahrensrechtlich noch möglich ist. Es ist jedoch ebenfalls vorstellbar, dass letztlich
„kreative Lösungen“ gefunden werden, um einen fiskalischen Totalausfall zu vermeiden.

Beachten Sie: Grundsätzlich (unter Ausblendung des Einzelfalls) ist zu empfehlen, etwaige
Umsatzsteuer-Festsetzungen vorerst offenzuhalten.

Quelle: Schlussanträge der Generalanwältin Laila Medina vom 13.1.2022, Rs. C‑141/20; BFH,
Beschluss vom 11.12.2019, Az. XI R 16/18, EuGH, Rs. C-141/20; Schlussanträge der Generalanwältin
Laila Medina vom 27.1.2022, Rs. C‑269/20; BFH, Beschluss vom 7.5.2020, Az. V R 40/19, EuGH, Rs.
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